Die durch die Flachheit bedingte Eigenheit des Steinhuder Meeres als Lebensraum für Wasserlebewesen (Schiemenz ca. 1950)
Anmerkung Riebe / September 2002:
Eine Abhandlung aus dem Jahre 1950, „als die Welt am Steinhuder Meer (fast) noch in Ordnung war“. Wenn Sie den vorletzten Absatz aufmerksam lesen, dann werden Sie erkennen, dass alles schon einmal dagewesen ist.

Allgemeine Beschreibung des Sees

Das 25 km WNW der Stadt Hannover gelegene Steinhuder Meer ist ein Süßwassersee von etwa 3000 ha Größe mit einer Tiefe bis zu 3 m. Es hat etwa die Form einer gedrungenen Ellipse mit der Achse von SW nach NO; im südwestlichen Ellipsenbrennpunkt liegt die künstliche Insel Wilhelmstein, eine ehemalige Miniaturfestung und Kriegsschule. Von Osten, Norden und Westen kann man beim Baden vom Ufer aus weit hineingehen und hat immer noch Sandgrund unter den Füßen. Nur im Süden und Südwesten lagert ganz weicher dunkler Schlamm, wie auch in Teilen der Seemitte, – und zwar über tieferliegendem festem Sandgrund – so daß man hier versinken würde. Dieses weite, flache Gebiet, auch selbst in der Seemitte nur bis 3 m tief, hat nun, wie ich im folgenden. zeigen will, allerlei eigenartige Auswirkungen auf die Lebewelt, wie wir. sie in anderen Seen im allgemeinen nicht finden.

Vor dem Ostufer finden sich breite Gelege von Rohr {Phragmites communis Trinius), am Nordufer dichte Bestände des Wasserschwadens (Glyceria aquatica. [L] Whlbg). außer etwas Schilf (Typha latifolia L.) und Igelkolben (Sparganium erectum L.) und davor viele größere Flächen der Seebinse (Scirpus lacustris L.), vor dem Südufer verteilt in lockeren Beständen der Igelkolben (Sparganium erectum L.), nach den Jahren in wechselnder Zahl und Ausdehnung.

Die im Wasser gelösten Mineralien haben im Steinhuder Meer nichts Ungewöhnliches: pH 7,1 – 8,9, Säurebindungsvermögen oder Alkalität 1,2 – 1,55 ccm 1/10 n HC1 auf 100 ccm Wasser bei Methylorange als Indikator, 7 – 10 Grad Deutsche Härte, 27 – 36 mg Cl/1. Die hauptsächlich den besonders wichtigen Kalkgehalt des Wassers anzeigende Alkalität mit 1,2 bis 1,55 ergibt einen mäßig günstigen Wert; sonst beginnt das Optimum bis 2,5, das Maximum liegt in unserem Klima bei etwas über 6,5. Der Unterschied im Zuflußgebiet, zum Teil kalkreiche Berge im Süden, kalkarme Sande von NO bis W, macht sich im See, der sein Wasser nur aus der Umgegend erhält, örtlich nicht unterschiedlich bemerkbar, ebenso nicht die Niedermoorverwachsungszone im S und SW des Sees.

Die Fischerei als Ausgangspunk für die Betrachtung der lebenden Masse

Der Ansatzpunkt, das Steinhuder Meer als biologischen Gesamtlebensraum zu betrachten, ging von der Fischerei aus. Das Fischereirecht steht zu ideell gleichen Teilen dem früheren Fürsten zu Schaumburg-Lippe und dem Lande Niedersachsen zu. Das staatliche Fischereiamt erhielt den Auftrag, ein Gutachten über den Pachtwert der Fischerei und Vorschläge zur Hebung der Erträge zu erstatten. Schon früher hatten die Hauptpächter der Fischerei, Schweer & Kuckuck in Steinhude, auf ihre Kosten von derselben Stelle Untersuchungen zur Ausrichtung ihrer Wirtschaftsmaßnahmen durchführen lassen. Auch standen dem Verfasser ältere Gutachten seit 1910 vom Vater des Verfassers, Paulus Schiemenz, dem Leiter des damaligen Preuß. Institutes für Binnenfischerei in Berlin-Friedrichshagen, und Fangangaben seit 1900 der jeweiligen Hauptpächter zur Verfügung.

Für die fischereiliche Begutachtung von Seenfischereien stehen gewisse Bewertungsmaßstäbe und Faustzahlen zur Verfügung. Man hat versucht, genauere Unterlagen zu gewinnen, indem man, in dieser Form zuerst in Schweden, die Masse des Getieres auf der Schlammboden-Schicht des Sees, die stets weithin auffallend gleichmäßig im See verteilt ist, in Beziehung zum Fangertrag an den Fischarten brachte, die sich als größere, fangreife Tiere vorwiegend davon ernähren. Dieses Verhältnis aus Fischereiertrag (F) und Bodentierweltmasse (B) hat man den FB-Quotienten genannt. Er hat sich aber als sehr abhängig erwiesen vom relativen Nahrungsreichtum, der Gesamtgröße des Gewässers, Klima und Gegend, Intensität der Befischung, sogar Tüchtigkeit des jeweiligen Fischers, Absatzmöglichkeit und manchen anderen Umständen. Die Hoffnung, hiermit einen exakten Maßstab zu gewinnen, hat also enttäuscht. Die Masse der Unterwasserpflanzen oder gar das sehr wechselnde Plankton als Maßstab zu nehmen, ist von vornherein noch weniger sicher, wie auch massenmäßig schwerer erfaßbar. Es bleibt also nur ein allgemein abzuwägender Vergleich mit anderen Seen und ihren Fischereierträgen übrig.

Es mußte also versucht werden, das Steinhuder Meer mit andern ideellen Normal-Seen verschiedener Typen zu vergleichen, um die durchschnittlichen Erfahrungen auf diesen auch hier anzuwenden. Und hierbei ergaben sich, um das schon vorweg zu nehmen, so viele Sonderheiten, daß kein Normalmaßstab anwendbar war und zwar offensichtlich wegen der verhältnismäßig ungewöhnlichen Flachheit des Sees; ganz sonderbar ist dabei, daß offensichtlich alle diese Eigenschaften ungünstig für die Fischereierträge sich auswirkten, oder umgekehrt ausgedrückt: Die Höchstmasse der Lebewesen der Binnenseen weitgehend an die Normalseenverhältnisse angepaßt ist, nur hierin ihre optimalen Lebensbedingungen findet.

Eigenart im Vorkommen der Fischarten

Verschiedene Fische im Steinhuder Meer haben ein geringes Wachstum, das sich ja bekanntlich nach dem Nahrungsangebot relativ zur Zahl der Fische richtet. Während sonst die Plötze (Leuciscus rutilus L.) normalerweise bei einer Größe von 15 cm sich erstmalig fortpflanzt, geschieht das nach Angaben der Fischer im Steinhuder Meer bei einer Größe von 6 – 7 cm, beim Brassen (Dünken) (Abramis brama L.) statt bei 26 – 28 cm schon bei einer Größe von 12 cm, beim Kaulbarsch (Acerina cernua L.) statt bei 7 cm schon bei 2,5 cm, allerdings beim Zander (Lucioperca sandra Cuv. U. Val.) statt bei 35 cm erst bei 40 – 50 cm. Am auffallendsten jedoch ist, daß der Stichling (Gasterosterus pungitius L.), der sonst in allen heimischen Gewässern allgemein verbreitet ist und in großen Mengen im Steinhuder Meer erwartet werden müßte, in diesem völlig fehlt. 1927/28 wurde er vereinzelt festgestellt, 1905/06 fand er sich in Ufergräben reichlich, ohne jedoch weiter den See zu besiedeln; schon 1901 fehlte er. Auch der recht weitverbreitete 9-stachlige Stichling (Gasterosteus pungitis L.) fehlt völlig. Das ist eine sehr auffallende Tatsache. Auch für den Edelkrebs wurde schon 1911 berichtet, daß er seit je nur vereinzelt vorgekommen sei.

Von den dem See aus tiergeographischen Gründen fehlenden Fischarten wurde der Zander (Lucioperca sandra Cuv. u.. Val.) l900 mit verschickten Eiern und der Stint (Osmerus eperlanus L.) 1943 mit Laichfischen vom Zwischenahner Meer eingesetzt. Beide Fischarten haben sich gut entwickelt. Der Zander ist ein von anderen Fischen sich nährender Raubfisch, der Stint ernährt sich von Planktontierchen. Das Steinhuder Meer ist in die fischereiliche Seengruppe der Zanderseen einzuordnen, obwohl ihm früher der Zander selbst fehlte.

2- und 9-stachliger Stichling

Das Plankton ist in den recht gut entwickelt, vor allem auch wärmeren Monaten, das verhältnismäßig große Glaskrebschen (Leptodora hyalina Lilljbg.). Die Sichttiefe ist sehr gering, nämlich 50 – 20 cm, bei Sturm wegen des aufgewühlten, ganz losen Schlammes am geringsten. Das Plankton als Ernährungsgrundlage wechselt auch in anderen Seen ganz allgemein zeitlich stark, die vom Plankton sich ernährenden Fischarten geben nur verhältnismäßig geringe Hektargewichtserträge, die wertvollen Arten sind überdies an die kühlen Tiefen-Temperaturen tiefer Seen angepaßt, wie die Felchen oder Maränen (Coregonen). Als einziger Planktonfisch, der hohe Temperaturen verträgt, ist, auf Vorschlag des Verfassers zur artgemäßen Ausnutzung des Planktons, der Stint (Osmerus eperlanus L.) 1943 eingesetzt worden. Er soll dann seinerseits den Raubfischen zur Nahrung dienen und damit diesen indirekt das Plankton nutzbar machen.

Besiedlung des Bodenschlammes und seine Umlagerungen

Als beständigste Nahrungsgrundlage wichtigster Fischarten im See wird das Kleingetier auf dem Bodenschlamm der Tiefe. der Seen angesehen, vor allem an großen Zuckmückenlarven (Chironomiden), daneben noch an Schlammröhrenwürmern (Tubificiden). Außerdem finden sich auf. bzw. im obersten Bodenschlamm Hornmückenlarven (Ceratopogon), Raubzuckmückenlarven (Tanypus) und im oder über dem Schlamm Bart- oder Grasmückenlarven (Sayomyia). Alles dies lebt auch im obersten Schlamm des Steinhuder Meeres. Wie in anderen Seen besteht auch hier die auffallend gleichmäßige Verteilung dieses Getieres über den Grund hin, zwar in einzelnen Teilen des Sees sich unterscheidend, so Ceratopogon mehr zum SW-Ufer hin, entsprechend dem dort stärkeren Anteil von Uferpflanzenresten, aber doch im selben engeren Gebiet auffallend gleichmäßig verteilt, so daß verschiedene Proben von 225 cm2 mit dem Greifer heraufgeholt und ausgesiebt, stets fast gleiche Zahlen ergeben und damit zu einer Gesamtüberschlagsberechnung geradezu herausfordern. Dem Bodenschlamm im Steinhuder Meer fehlen aber, im Gegensatz zu manchen anderen Seen, so dem Dümmer und dem Seeburger See, die als Fischnahrung besonders für Aal (Anguilla anguilla L.), Schleie (Tinca tinca L.) und Plötze (Leuciscus rutilus L.)

Bodengetier auf dem Schlamm der Seen, etwa 5mal vergrößert

1. Rote Zuckmückenlarve, 2.. Schlammröhrenwurm, 3.Raubzuckmückenlarve,
4. Hornmückenlarve, 5. Büschel- oder Glasmückenlarve, 6. Plötzenschnecke, 7. Erbsenmuschel (1:1)

wichtigen kleinen Deckelschneckenarten, Schleischnecke (Bythinia) und Plötzenschnecke (Valvata). Der Grund liegt auf der Hand, und hier tritt zum ersten Mal eine Folge der verhältnismäßigen Flachheit des Sees in Erscheinung: Der Schlamm wird, besonders bei Sturm, der bei dem. flachen See sich überall bis auf den Grund auswirkt, immer wieder aufgewirbelt und umgelagert; das Wasser wird trübe von Schlammteilen, die Schlammbänke verändern ihre Höhe unter dem Wasserspiegel, ausgestellte Reusen schlämmen in kurzer Zeit zur Hälfte ein, etwas festere Schlammschichten werden von weicheren überdeckt oder wieder entblößt. Die durch Aushub dicht am SO-Ufer bei Steinhude entstandene 5 m tiefe Rinne zwischen dem alten Ufer und der davor im See aufgeschütteten Strandpromenade schlämmte in 3 – 4- Jahren völlig zu. Trotzdem gibt es andererseits weite Gebiete im N und O, die sandig und frei von Schlamm sind, wie auch die tiefen Rinnengebiete, die „Deipen“, parallel zur Ellipsenachse des Sees und andere Rinnen, die parallel dazu weiter zum NW. Offensichtlich treten hier wiederum andere Strömungen auf, die den aus dem trüben Wasser abgesetzten Schlamm wieder fortschwemmen, – ebenfalls eine eigenartige Erscheinung im Steinhuder Meer.

Vergleichende Greiferproben auf 225 cm2 in verschiedenen Seen Niedersachsens (1:1)

Biologische Folgen der Umlagerung des Bodenschlammes und seines Heraufreichens bis dicht an die Oberfläche auf Besiedlungsdichte und Besiedlungsstetigkeit

Die häufigen Aufwirbelungen und Wiederabsetzungen des Bodenschlammes haben zweierlei Folgen in biologischer Hinsicht für den Lebensraum, wie wir sie bei tieferen Seen, wo eine solche Aufwirbelung des Schlammes nicht erfolgt, nicht finden. Zu oberst lagert sich der feinste und weichste Schlamm, der sich bei Beruhigung des Wassers zuletzt absetzt, oft in Art ganz zarter und weicher Wolken ab. Diese Weichheit verhindert – im Gegensatz zum festeren Faulschlamm auf dem Grunde anderer tiefer Seen – einen Aufenthalt von Schnecken oder Muscheln, da diese in derart weichem Schlamm völlig versacken würden. Die andere Auswirkung dieser Umlagerung des Schlammes ist die, daß sich nicht, wie bei anderen tieferen Seen, die jüngsten noch am wenigsten mineralisierten, also noch nahrungsreichsten Absätze zu oberst und in geschlossener Decke ablagern, hier zugleich als Nahrung für mancherlei Getier, sondern daß im Steinhuder Meer lediglich die leichtesten, meist wenig fruchtbarsten aus Zellulose und Kleinkrebschitinschälchen zu oberst lagern, die schweren und noch nahrungsreicheren dagegen verteilt und „untergepflügt“ werden. Der mit dem Bodengreifer heraufgeholte Schlamm hat daher auch keinen stinkenden Geruch, wie mancher fischereilich „gute“ Schlamm anderer Seen, sondern er riecht nur ganz schwach und säuerlich muffig. Wenn man über Schlammgebiete hinweg fährt, die bis dicht an die Oberfläche lagern – auch inmitten des Sees -, so „kocht“ das Wasser von aufsteigenden geruchlosen Sumpfgasblasen.

Über viele Jahre hin sind von mir Untersuchungen der Tierwelt des Bodenschlammes mit dem Bodengreifer vorgenommen worden. Es zeigten sich dabei zu gleicher Zeit örtliche Unterschiede im See. die oben schon erwähnt, und zwar in allen Jahren stets gleicher Art. Dagegen schwankten die jeweils örtlichen Besiedlungszahlen auf 225 em2 für die einzelnen fährt, die bis dicht an die Oberfläche lagern – auch inmitten des Sees -, so „kocht“ das Jahre außerordentlich stark, und zwar stets gleichmäßig über den ganzen See hin. Das steht im Gegensatz zu der sonst verbreiteten Auffassung von dem verhältnismäßigen Gleichbleiben der Besiedlung gerade der Seen-Schlammgebiete. Die Unterschiede sind so groß, daß auf diese Befunde im Steinhuder Meer überhaupt keine Ertragsschätzung aufgebaut werden kann; denn es treten Unterschiede von 1/3 zu 119 auf.

Wie ist nun dieser auffallende Unterschied in den einzelnen Jahren zu verstehen – und zwar im Gegensatz zum starken Gleichbleiben in anderen Seen? Der Unterschied ist nur mit der verhältnismäßigen Flachheit im Steinhuder Meer zu erklären. Hier ist die. Schlammoberfläche allen Schwankungen der täglichen Witterung nach Temperatur und Windbewegung ausgesetzt, während in tieferen Seen der Schlamm in einer solchen Tiefe lagert, daß ihn einerseits die Wellenbewegung und die Oberflächenwasserströmung nicht erreichen und andererseits, bei kühlerer Wassertemperatur, die Temperaturänderungen über und im Schlamm nur allmählich vor sich gehen: hier herrscht also ein ausgeglichenes Klima, im Steinhuder Meer aber ein Klima, dessen Witterung sich täglich, oft sogar stündlich ändert. Bei allen daraufhin angestellten Untersuchungen hatte das Steinhuder Meer stets dieselbe Temperatur an der Oberfläche wie in der Tiefe über dem Grund. Temperaturschichtungen wie in „normalen“ Seen sind also hier nur seltene, schnell vor-übergehende Erscheinungen. Wir haben also auf dem Schlamm des Steinhuder Meeres ein Luftklima und kein Wasserklima. Da wird es dann verständlich, daß nicht wie im Wasserklima, ein ziemliches Gleich bleiben der Bodenbesiedlung, sondern hier ein starker Wechsel nach einzelnen Jahren stattfindet Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Besiedlungsdichte und den jeweiligen Wetterlagen der betreffenden Jahre konnte bisher noch nicht ermittelt werden. Da es nicht auf die Verhältnisse im Durchschnitt, sondern einerseits auf vorkommende Extreme, wie andererseits Zusammentreffen mit biologisch bedingten Empfindlichkeitstadien gewisser Tierarten ankommt, wird sich auch eine Abhängigkeit nur schwer ermitteln lassen.

Zu verschiedenen Zelten innerhalb derselben Entwicklungszeit der Chironomidenlarven durchgeführte Untersuchungen haben ergeben, daß sich innerhalb derselben die Zahl nicht wesentlich ändert, sondern nur nach den einzelnen Jahren.

Es ist von mir versucht worden, eine Abhängigkeit zwischen der verschieden starken Bodenbesiedlung und den Fangzahlen einiger Wirtschaftsfische zu ermitteln; dieser Versuch führte aber zu keinem Ergebnis. Daß andererseits tatsächlich die Fangzahlen von über 50 Jahren einen Rückschluß auf die wechselnde Bestandesdichte der einzelnen Fischarten gestatten, ergibt sich daraus, daß die Fangzahlen für die einander

folgenden Jahre nicht wahllos schwanken, sondern sich häufig schlechte oder gute Jahresgruppen herausheben, entsprechend der Tatsache, daß bestimmte Jahrgänge der Fische während mehrerer Jahre zum Hauptfang kommen. Andererseits bestätigt dieses Verhalten der Fangkurven, deren Veröffentlichung im einzelnen wirtschaftlichen Bedenken begegnen würde, auch eine gewisse Glaubwürdigkeit der angegebenen Fangzahlen.

Schwankungen in den Fischfangergebnissen

Daß erhebliche Schwankungen in den Lebensbedingungen der einzelnen Fischarten auftreten, ergibt sich nicht nur aus den Schwankungen der Jahresfangkurven, sondern auch aus dem erheblichen Schwanken im Ernährungszustand der Fische, bzw. in dem Auftreten von Fischkrankheiten nach Jahren schlechten Ernährungszustandes, oder sogar ganz auffallenden Unterschieden im zahlenmäßigen Vorkommen auch von Nichtnutzfischen. So ließ sich der Kaulbarsch (Acerina cernua L.), der besonders gern Zuckmückenlarven frißt, 1934 und 1935 zentnerweise fangen, 1936 und 1937 war er und zwar als Angelbesteckfisch sehr knapp, 1939 wieder sehr reichlich, 1944 konnten täglich nur 4—5 Stück gefangen werden, 1949 fand ein großes Kaulbarschsterben statt. Nach 1930 waren die Brassen oder Dünken (Abramis brama L.) sehr mager, 1935 setzte ein großes Sterben unter ihnen ein, in den folgenden Jahren waren sie wieder fetter. Der Ucklei (Alburnus lucidus Heck) -war 1901 sehr reichlich vorhanden, vor 1935 fehlte er fast ganz, nahm dann wieder zu, war reichlich vertreten, 1949 aber bereits schon wieder gering. Es zeigt sich also eine auffallende Ähnlichkeit in einem starken Schwanken der Besiedlungsdichte des Schlammoberflächengetieres, wie ebenso der Fischarten. Diese Erscheinung läßt sich nur durch die starke Einwirkung der Witterungsunterschiede infolge der geringen Tiefe des Steinhuder Meeres erklären.

Wirkung auf die Winterruhe der Fische

In der Verteilung der Schlammablagerungen zeigt das Steinhuder Meer ein ganz ungewöhnliches Verhalten. Die Schlämme lagern zumeist ziemlich hoch, also mit geringer darüberstehender Wassertiefe. Die tiefsten Stellen, die schon genannten Deipen, sind dagegen schlammfrei oder nur vorübergehend mit dünner Schlammschlicht überzogen. Hier wird also der sich ablagernde Schlamm immer wieder durch starke Wasserströmungen, wie sie bei stärkeren Winden auftreten, fortgeführt. Den Fischern dreht sich dann dort das Zugnetz um, die Stellnetze werden dicht mit treibendem Kraut zugetrieben. Der Sand an der Oberfläche des Bodens ist dort grobkörniger als in der darunterliegenden Schicht; der Oberflächenschicht Strömungen, wie sie bei stärkeren Winden auftreten, fortgeführt. Den Fischern dreht fehlt der Zusatz. feinen Tones, der dem Sande wenige Zentimeter tiefer beigemischt ist – wie Bohrungen des Verfassers ergeben haben. Die Wassertiefen des Steinhuder Meeres richten sich also nicht nach der Tiefe des festen Untergrundes, außer in den flachen Sandgebieten, sondern nach der Höhe des über dem festen Grunde abgelagerten Schlamms. Die größeren Tiefen des Sees richten sich ausschließlich nach. den Strömungen: in Gegenden häufig starker Strömung bleiben die natürlichen Tiefen bestehen, dagegen in den weiten Gebieten offensichtlich geringerer Strömung häufen sich die Schlammablagerungen, der See wird hier also über tiefem festem Untergrund doch flach. Diese Strömungen, gerade also an den tiefsten Stellen des Steinhuder Meeres haben nun besondere Auswirkungen auf den Fischbestand. In anderen „normalen“ Seen stellen sich für den Winter fast alle Fischarten in den Tiefen des Sees ein, um hier eine Art Winterruhe zu halten; im etwas wärmeren tiefen Wasser und um bei der Trägheit infolge der kälteren Jahreszeit nicht zum Anschwimmen gegen Wasserströmungen gezwungen zu sein. In solchen Tiefen wird dann unter Eis die Eisfischerei mit großen Zugnetzen durchgeführt, um den gesamten Fischbestand des Sees durchzusortieren und auszuwählen. Eine solche Winterruhestelle ist nun den Fischen im Steinhuder Meer nicht gegeben, da ja gerade an den tiefsten Stellen stärkste Strömungen auftreten.

Länger dauernde Eisbildung ist aus klimatischen Gründen auf dem Steinhuder Meer selten. Wie stark das Bedürfnis der Fische auf dem Steinhuder Meer nach solchen Winterruhestellen im See ist, zeigt ihr Verhalten, als 1938 die 5 m tiefe Rinne vor Steinhude ausgebaggert war. Im November 1939 konnten hier, in für andere Seen ganz ungewöhnlicher Ufernähe, 500 dz Plötze gefangen werden, so daß in den nächsten beiden Jahren sich sogar ein gewisser Mangel an Platze bemerkbar machte. Es liegt auf der Hand, daß das Fehlen solcher Winterruheplätze einen großen Nachteil für den Fischbestand des Steinhuder Meeres darstellt, der wiederum durch die verhältnismäßige Flachheit des Steinhuder Meeres gegeben ist

Menge und Verteilung der Unterwasserpflanzen

Neben der Kleintierwelt des Planktons und des Seebodens stellt das Kleingetier, das in dem Unterwasserpflanzenbereich. der Seen lebt, die dritte große Gruppe des Nahrungsangebotes der Fische im See. Außerdem bedingen neben dem absterbenden Plankton pflanzlicher und tierischer Art die Reste der Wasserpflanzen, ihres Getiers usw. die Fruchtbarkeit des Seegrundes, der ja normalerweise unterhalb der Lichtgrenze liegt, also keine eigene Urproduktion hat.

Auch die Pflanzenwelt ist im Steinhuder Meer sehr eigenartig verteilt. Allein der Tiefe nach müßten alle Arten Unterwasserpflanzen den gesamten See überall bewachsen. Das ist aber keineswegs der Fall; weite Gebiete sind trotz ausreichender Flachheit unbesiedelt oder nur ganz vereinzelt mit Pflanzen besetzt.

In den Schlammgebieten südlich einer Linie, die von SO nach NW durch den Wilhelmstein gezogen wird, findet sich nur das Tausendblatt (Myriophyllum spicatum L.) und zwar in sehr vielen kleinen und größeren Horsten verstreut. Im Lauf des Sommers treiben unzählbare Stengelstücke dieser Pflanze mit langen fadenförmigen weißen Adventivwurzeln im See umher, bilden bei Sturm ganze Wälle am Ufer, und trotzdem besiedeln sie reichlich nur die genannten Schlammgebiete im See, fassen aber sonst, bis vereinzelt an wenigen beschränkten Uferstellen, keinen Fuß.

Auch andere Unterwasserpflanzen, wie Wasserknöterich (Polygonum amphibium. L.), Spiegelndes Laichkraut (Potamogeton lucens L.), Schwimmendes Laichkraut (Potamogeton natans L.) und Stengelumfassendes Laichkraut (Potamogeton perfoliatus L.) kommen nur an wenigen ufernahen Stellen vor. Die Wasserpest (Elodea canadensis Richard) fehlt auch dort zumeist. Das Kammförmige Laichkraut (Potamogeton pectinatus L.) kommt nur, und zwar in größeren Polstern um den Wilhelmstein herum vor.

Stengelstück des Tausendblattes mit Adventivwurzeln

Woher kommt es nun, daß die Unterwasserpflanzen in dem größten Teil des Sees fehlen, und lediglich das Tausendblatt, und zwar nur auf dem Schlamme, reichlicher vorhanden ist, sonst aber ebenfalls im See fast überall fehlt?

Die Erklärung ist ebenfalls in der Flachheit und der starken Wellenbewegung bis auf den Grund zu suchen. Diese Deutung ergibt sich besonders daraus, daß das Vorkommen verschiedener Pflanzenarten auf die ruhigen Buchten des Sees beschränkt ist, so im Norden auf den Grandberg und vor der Moorhütte. vor der Einmündung des Wunstorfer Grabens. vor dem „Kleinen Teil“ vor dem Südende von Steinhude, zeitweise auch im Hafen des Wilhelmsteins, (der aber auch stark geräumt wird), und vor allem in den Nebengewässern, die bei Großen-Heidorn durch Baggern von Kanälen und Wasserflachen in das feste Land und ebenso durch Freischneiden zwischen dem Ufer und den vorgelagerten großen Beständen von Rohr (Phragmites communis Trinius) vor dem Nordteil von Steinhude entstanden sind- Es liegt also nicht am Chemismus des Seewassers noch an der Art des Bodens oder bestimmter Tiefen, sondern es sind alles Stellen, wo Wind und Wellen stark abgefangen sind. Ähnliches gilt auch für das Vorkommen des Kammförmigen Laichkrautes um den Wilhelmstein herum, der Wind und Wellen abbremst.

Grundeisbildung

Den besonderen Grund, weshalb der Wellenschlag die Unterwasserpflanzen. in so starkem Maße im Steinhuder Meer beseitigt, oder ihr Aufkommen verhindert, möchte ich in der Grundeisbildung im Winter sehen. Bei dem flachen See und der starken Temperatur- und Windbeeinflussung bildet sich sehr leicht statt Oberflächeneis zunächst Grundeis wie in fließenden Gewässern. Dieses Grundeis scheidet sich an den Unterwasserpflanzenteilen ab und fuhrt mit dem Wellenschlag zu ihrer Losreißung. Nur an ruhigen, geschützten Stellen kann diese Wirkung nicht eintreten.

Orte des Vorkommens von Schnecken und Unterwasserpflanzen
(die Stelle „Vor dem kleinen Teil“ wurde nicht untersucht)

Vorübergehende völlige Umstellung des Charakters des Sees und die daraus zu ziehenden Folgerungen

Eine seltsame Erscheinung hat sich im Steinhuder Meer abgespielt: Während schon 1901 genau dieselben, eben dargestellten Verhältnisse bestanden, änderte sich um 1910 der ganze Charakter des Sees grundlegend. Der Boden überzog sich weit mit einem dichten Teppich von Unterwasserpflanzen. Hierdurch wurde der Schlamm der Wellenbewegung entzogen, das Wasser wurde so klar, daß man den Grund noch in

1,5 m Tiefe deutlich erkennen konnte. Die Reusen veralgten daher. Die Zugnetzfischerei konnte nur noch nachts mit Erfolg ausgeführt werden. Schnecken waren reichlich vorhanden. Die Brassen wurden großwüchsig; vom 1. bis 22.5.1918 wurden, als Beispiel, die ganz ungewöhnlich großen Fänge an Brassen von zusammen 242 dz. getätigt. Auch der Zanderfang nahm ungeahntes Ausmaß an. Die Roherträge aus der Fischerei stiegen auf das zweieinhalbfache an, so daß die Pacht schließlich erhöht wurde. Aber dieser Zustand dauerte nur bis 1919, schlug wieder vollkommen auf die alten Verhältnisse um, die nun weiter bis heute bestehen geblieben sind.

Dieser zweimalige grundlegende Wechsel zeigt, daß nicht der Chemismus des Wassers noch die Art des Bodens entscheidend für das normale Fehlen der übrigen Unterwasserpflanzen im Steinhuder Meer sind, sondern irgendwelche geschichtlichen Umstände, für die nur zufällige Wetterlagen in Frage kommen können. Andererseits beweist das auch wiederum die starke Einwirkung des Wetters auf den See infolge der geringen Wassertiefe.

Vor allem zeigt aber dieser Wechsel mit seiner Auswirkung auf die Erträge, von wie entscheidender Bedeutung für die Fischereierträge und überhaupt für die Masse des Kleingetiers .ein reicher Unterwasserpflanzenbestand im See wäre, und wie abträglich die geringe Wassertiefe ist, die den Seegrund dem Wechselspiel der Witterung ausliefert und. dadurch normalerweise die Entwicklung des Unterwasserpflanzenbestandes hemmt oder gar verhindert

Allgemeine Folgerungen für Maßnahmen zur Förderung der Fischerei

Wenn man die Möglichkeit erwägt, die Fischereierträge im Steinhuder Meer zu erhöhen, steigt als Wunschbild auf: Die Einwirkung des Wetters und Windes durch „Wasserwindhecken“, seien es Dämme oder Rohrhecken oder Unterwasserpflanzungen, zu hemmen, und damit auch im See ähnliche Verhältnisse zu schaffen, wie in seinen Nebengewässern oder wenigen geschützten Buchten, d.h. durch Verkleinerung der Gewässer, die vorhandene Wassertiefe im Verhältnis zur Wasserfläche zu vergrößern.

S c h r i f t e n h i n w e i s

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